Energiepolitik anno 1980

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Marcus
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Okt 2023 16 11:17

Energiepolitik anno 1980

Beitrag von Marcus

Bereits 1980 gab es weitschauende Experten, die voraussagten, dass die Atomenergie in 50 Jahren ausgedient hat.
Das ist sogar bereits knapp 7 Jahre eher in Deutschland Realität geworden.
Wobei das natürlich auch Augenwischerei ist, da Deutschland ja immer noch Atomstrom aus dem Ausland bezieht.

Das im Jahr 2010 kein Öl mehr vorhanden ist und alle Autos dann mit Batterien fahren, hat sich dagegen nicht bewahrheitet.
Auch das die Energieversorgung der Bundesrepublik Deutschland vom Jahre 2025 an ohne Öl, Erdgas und Kernkraft nur mit Kohle, Biomasse, Sonne, Wind und Wasserkraft möglich sei, wird sich nicht bewahrheiten.
Das man damals auch für die Zukunft noch auf die Kohle setzte zeigt, dass man sich der CO2 Problematik noch nicht bewusst war.

Auch, "dass die Raumheizung mit Strom, das Unsinnigste ist was man tun kann", wissen wir heute besser.

Hätte man damals der Havard-Studie und Ludwig Bölkow (langjähriger Chef und Minderheitsgesellschafter des süddeutschen Technologiekonzerns Messerschmitt Bölkow Blohm (MBB)) vertraut, wären wir heute, bezüglich der erneuerbaren Energieversorgung, ein ganzes Stück weiter!


Ein Bericht aus dem "Spiegel 11/1980" vom 09.03.1980:

In 50 Jahren vorbei

Die Atompartei ist irritiert: Nach den Grünen beginnen nun auch renommierte Forschungsinstitute und Technologen eine neue Energiepolitik zu predigen.

"Ohne den Einsatz von Kernkraft", pflegt Manfred Lennings, Chef des Maschinenbau-Konzerns Gutehoffnungshütte, Zweifler abzufertigen, "ist die Zukunft nicht zu bewältigen."
"Ohne Kernkraft", kommt das Echo vom Vorstandsvorsitzenden des Energiekonzerns Veba, Rudolf von Bennigsen-Foerder, "ist die Stromversorgung der Zukunft nicht zu schaffen."

Auch Bundeskanzler Helmut Schmidt hört gerne auf die Freunde aus der Industrie: "Im Jahre 2010", prophezeite der Kanzler, "werden wir kein Öl mehr haben. Dann werden alle Autos mit Batterien fahren. Dazu brauchen wir Atomkraftwerke, damit wir Batterien aus der Steckdose aufladen können."

Während Kanzler und Industrie noch die Sprüche aus den sechziger Jahren klopfen, dämmert es Wissenschaftlern und Technologen, daß die Lösung künftiger Energieprobleme nicht an der Kernkraft hängt.
"Raumheizung mit Strom", weiß Lufthansas Technik-Vorstand Reinhardt Abraham, "ist vom Standpunkt der Energietechnik her das Unsinnigste, was man tun kann."

Die langfristigen Denkmodelle zur Energieversorgung schieben den Atomstaat denn auch immer mehr in die Ecke.
Immer mehr und immer sorgfältigere Recherchen bewegen sich in eine Richtung, die etwa Umweltapostel Erhard Eppler mit seiner Forderung nach dem Aufbau besserer Energienutzungssysteme beschritten hat - auch wenn Kanzler Schmidt die Versuche seines schwäbischen Parteifreundes als "philosophisch beachtliche, aber ökonomisch unerhebliche Randerscheinung" abtat.
So hat das - freilich von Eppler mit repräsentierte - Freiburger Öko-Institut für angewandte Ökologie ein Szenario entwickelt, nach dem die Energieversorgung der Bundesrepublik Deutschland vom Jahre 2025 an ohne Öl, Erdgas und Kernkraft nur mit Kohle, Biomasse, Sonne, Wind und Wasserkraft möglich sei.

Kern der Öko-Logik ist das Konzept, vorhandene Energie einfach nur besser zu nutzen: Bis zum Jahre 2030, so behaupten die Freiburger, könnten allein mit gegenwärtig bekannten Techniken:
- 70 Prozent der Raumheizung,
- 65 Prozent des Stromverbrauchs der Haushaltsgeräte,
- 60 Prozent des Autokraftstoffes,
- 30 Prozent der industriellen Prozeßwärme und
- 30 Prozent des Energieverbrauchs der Elektromotoren eingespart oder umgelenkt werden.

Damit, so die Freiburger, sei der Energiebedarf Westdeutschlands um 40 Prozent zu drücken.
Weil statt der gegenwärtig 60 Millionen in 50 Jahren nur noch 45 Millionen Deutsche zu versorgen seien, ergäbe sich dabei trotz drastisch gesunkenen Energiebedarfs ein steigender individueller Lebensstandard.

Indes werden mit Ökologie beschäftigte Institute gerne als Romantiker im Sinne einer roten Sache abgetan.
Die reine Wahrheit kommt für den harten Zukunftsstrategen eher von modernem Management und von den etablierten Hochleistungstechnikern.
Von dort aber droht nun die schiere Verunsicherung.
Ausgerechnet die renommierteste Kadettenanstalt des Managements, Amerikas Harvard Business School, hat jetzt in einer umfangreichen Untersuchung bestätigt, was die Öko-Forscher behaupten und was viele Grüne geahnt haben mögen: Mit der Atomstrategie ist die Zukunft nicht zu packen, auf die sogenannten exotischen Energieformen und aufs Sparen komme es an.

Die Harvard-Untersuchung bezweifelt zunächst, daß Saudi-Arabien, das Schlüsselland der westlichen Energieversorgung, seine Produktion noch ausweiten oder auch nur halten könne; seine Möglichkeiten, Gastarbeiter aus den Nachbarländern zu holen, seien erschöpft.
Die aus 250 Personen bestehende Seniorengarde des Herrscherhauses sei keineswegs mehr sicher, daß hohe Öllieferungen an den Westen auf die Dauer zu politischer Stabilität im Nahen Osten führen könnten.

Zudem wissen die Saudis, daß sie bei gegenwärtiger Produktionshöhe Unmengen des wertvollen Erdgases im Ölfeld "abfackeln", also sinnlos verbrennen müssen.
Erst bei auf die Hälfte reduzierter Ölförderung sei das Gas sinnvoll zu verwenden.
Die Saudis würden ihre Energiereserven also doppelt schonen, wenn sie die Ölförderung drosseln.

Letztlich sei vor allem die Kohle eine sinnvolle Alternative zu den dahinschwindenden, allmählich viel zu teuren Ölreserven.
Dies aber werde zu einem Raubbau alten Stils führen, dessen ökologische Folgen unabsehbar seien.
Gegenüber der politisch kaum durchsetzbaren Kernkraft sei die Kohle gleichwohl die bessere, weil einzig universale Möglichkeit, Öl zu ersetzen.
Mit Kernkraft nämlich sei nicht mehr zu machen als Strom.
"So oder so", vermerkten die Harvard-Forscher, "bietet die Atomkraft in diesem Jahrhundert keine Lösung für das Problem wachsender Abhängigkeit vom Importöl."

Wie das Öko-Institut, wie Eppler und wie auch der SPIEGEL in der Serie "Das Ende der Ölzeit" (25-31/ 1979) will Harvard die Zukunftsstrategie auf rentableren Umgang mit den Energiereserven konzentrieren.
Energiesparen sei, so die Amerikaner, die Hauptenergiequelle der Zukunft.
Die Investition, um Energie zu sparen, sei weitaus geringer als der Aufwand, mit dem eine entsprechende Zusatzmenge Energie gefunden und aufbereitet werden müsse.
Rund 40 Prozent der 1973 aufgewandten Energie, so Harvard, lassen sich einsparen.

Zur Spar-Strategie gehört nach Ansicht der Harvard Business School vor allem ein Ausbau der Solarenergie.
Noch 1977 hatte kaum ein Energiewirtschaftler gewagt, den Anteil der Sonne am gesamten Energieverbrauch der USA für das Jahr 2000 auf mehr als zwei Prozent zu schätzen.
Harvard hält nun einen Anteil von 20 Prozent für möglich.
Schon 1985, so die Planungen der Industrie, werden etwa im sonnenreichen Kalifornien 1,5 Millionen Solaranlagen stehen und die Solarindustrie 30 000 Beschäftigte zählen.

Die Harvard-Studie wurde auf dem US-Buchmarkt inzwischen zum Bestseller - und damit zu einem Motor, der ihre eigenen Voraussagen verwirklichen hilft.
Doch schon bevor das Werk auch in deutscher Sprache auf den Markt geraten wird, mußten die Hohenpriester der Atomstrategie von einem, den sie für ihren Freund hielten, eine herbe Enttäuschung hinnehmen.
Ausgerechnet Ludwig Bölkow, Mitbegründer, langjähriger Chef und Minderheitsgesellschafter des süddeutschen Technologiekonzerns Messerschmitt Bölkow Blohm (MBB), rechnete unlängst die massive Unrentabilität der Atomstrategie vor.
100 Milliarden Dollar habe die westliche Welt bis 1979 für die Entwicklung der Kernenergie aufgewendet, 19 Milliarden Mark allein die Bundesrepublik.
"Die kühnsten Projektionen erwarten im Jahre 2000 aber nur maximal 20 Prozent des Weltenergiebedarfs aus Kernkraftwerken."

In Deutschland kommen trotz dieses massiven Geldeinsatzes bislang nur zwei Prozent des Endenergiebedarfs aus nuklearer Quelle.
Dennoch, kritisiert Technosoph Bölkow, gebe Volker Hauffs Forschungs- und Technologieministerium 1980 wiederum 1,4 Milliarden Mark für Kernenergie, 0,4 Milliarden für Kohle und Öl, aber nur 0,09 Milliarden für alternative Energie wie Sonne, Erdwärme oder Wind aus.

Auf diese alternativen Quellen indessen setzt der bislang eher als Promoter energieaufwendiger Hochleistungstechnologien aufgetretene Bölkow, seit er sich in Entwicklungsländern um ökonomische und ökologische Kreislaufsysteme gekümmert hat.
"Letztlich läuft es auf die Frage hinaus", resümiert der einstige Flugzeug- und Waffentechniker, "ist eine energetische Versorgung unserer Industriegesellschaften im Laufe von vielleicht 50 Jahren ohne die Benutzung von Brennstoffen wie Kohle, Öl und Kernkraft möglich?"

Bölkows überraschende Antwort: Ja.



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