Warum scheiterte die DDR?

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Aug 2021 05 22:51

Warum scheiterte die DDR?

Beitrag von Stranger Peer

Eine kurzer Umriss zu dem Thema. Der Herausgeber dieser wirtschaftlichen Analyse ist die Uni Frankfurt.



Das Wirtschaftssystem der DDR

Die Wirtschaft der DDR war ein typisches Beispiel für eine Zentralverwaltungswirtschaft. Grundprinzip war dabei die zentrale Planung und Lenkung von Produktion und Verteilung der Güter. Produktionsmittel und Bankwesen waren in Staatshand.

Entscheidend für die Lenkung der Wirtschaft waren die Wirtschaftspläne. Sie wurden von der staatlichen Planungsbehörde als Steuerinstrument erstellt. Dabei gab es sowohl Produktionspläne für die Betriebe als auch Bedarfspläne für die Bevölkerung. Letztere stellte den Betrieben Arbeitskräfte zur Verfügung und mußte sich den staatlichen Konsumplänen unterordnen. Die Betriebe erhielten ihrerseits Produktionsauflagen (z.B. in bezug auf Güterarten, Preise oder auch Mengen). Oberstes Ziel war die Erfüllung der in den Plänen festgelegten Normen. Der Erfolg der Planerfüllung wurde in regelmäßigen Abständen überprüft.



Problemanalyse

A. System-Probleme

* Diskrepanz zwischen Ideologie und Wirklichkeit
* Gigantische, unproduktive Bürokratie zur Koordination der Wirtschaft

Beispiel: Bis der Jahresplan für einen Betrieb vollendet ist, durchlief er (teilweise mehrmals) Parlament, Ministerrat, Plankomitee, Funktionalministerium, Industrieministerium, VVBs und VEBs. Im Jahre 1977 beliefen sich die Staatsausgaben für den Staatsapparat und die Wirtschaftsverwaltung auf 3,6 Milliarden DDR-Mark, mehr als 3 % des Staatshaushaltes.

* Unflexibilität der Wirtschaft

Die DDR-Wirtschaft war nicht in der Lage, auf Weltmarktveränderungen zu reagieren, da das starre Planungssystem lähmend wirkte.

* Teurer Sicherheitsapparat

Die DDR hatte eine Vielzahl verschiedener Ordnungs- und Kampfverbände, so u.a. das Ministerium für Staatssicherheit (MfS), Volkspolizei (VoPo), Bereitschaftspolizei, Grenztruppen, Nationale Volksarmee (NVA), Kampfgruppen. Jedes Jahr wurden viele Milliarden Mark für die Ausrüstung und Unterhaltung dieser Einheiten ausgegeben. So machten die Ausgaben 1977 ca. 10 % des ge- samten Staatshaushaltes aus (11 Milliarden DDR-Mark).

* Chaotische Wirtschaftsweise

Jahrzehntelang lebte die DDR-Wirtschaft von ihrer Substanz. Die Staatsausgaben waren höher als die Einnahmen aus den wenigen produktiven Bereichen. Vor allem in den achtziger Jahren wurde das staatliche Überleben erst durch westliche Kredite sichergestellt.

B. Probleme im täglichen Wirtschaftsablauf

* Abstimmungsprobleme

Die Planungen im materiellen, güterwirtschaftlichen und finanziellen Bereich gingen nicht Hand in Hand, wie es für eine funktionierende Planwirtschaft unerläßlich ist. Es war nicht unüblich, daß die Produktion eines Betriebes unterbrochen werden mußte, weil bestimmte Lieferungen oder finanzielle Mittel fehlten, die von anderen Betrieben bereitgestellt werden sollten.

* Interessenkonflikte Betriebe - Planungsbehörden

Betriebe waren zumeist an niedrigen Planauflagen interessiert, was mit einer geringeren zu bewältigenden Arbeitsmenge gleichzusetzen ist, auch wenn ein höheres Ausmaß der Produktion möglich und volkswirtschaftlich sinnvoll gewesen wäre.

* Unzureichende Investitionsplanung

Staatlich gelenkte Investitionen flossen häufig in wenig sinnvolle Bereiche ab, an anderer Stelle, an der sie gebraucht wurden, fehlten sie dafür. Beispiel: Der Uranbergbau im Erzgebirge.

* Unterentwickelte Infrastruktur
* Fehlende Tradition der Produktion

Die lange Tradition von Bauernstand, Handwerk und Industrie war vor allem durch die Enteignungen der Anfangsjahre ausgeschaltet worden. So fehlten Leistungsprinzip und -interesse innerhalb der Betriebe.

* Wirkungslosigkeit von Systemen zum Leistungsanreiz

In der DDR gab es zahlreiche Auszeichnungen für besondere betriebliche u.ä. Leistungen. So kannte man ein Vielzahl von Orden und Ehrentiteln wie "Held der Arbeit" oder "Aktivist der sozialistischen Arbeit". Ihre Wirksamkeit ist jedoch höchst fragwürdig.

* Maroder Zustand von Anlagen und Maschinen
* Unproduktive Wirtschaftsweise

Der Beschäftigungsgrad der DDR-Wirtschaft war künstlich hochgehalten. Viele Stellen waren quasi doppelt besetzt, so daß man von einer hohen latenten Arbeitslosigkeit ausgehen konnte.

C. Probleme der Bevölkerung in und mit dem System

* Umweltbelastungen

Lebensstandard und Gesundheit der Bevölkerung litten unter der Produktionsweise, die auf Kosten der Umwelt betrieben wurde. Beispiel: Die Chemieanlagen von Bitterfeld.

* Versorgungsengpässe

Die Versorgung der Bevölkerung stagnierte, Mangel herrschte vor allem an vielen Konsumgütern.

* Korruption

Die Konzentration wirtschaftlicher und staatlicher Macht führte dazu, daß bestimmte Stellen und Ämter zu Schlüsselpositionen im Wirtschaftsablauf wurden. Die Voraussetzungen für Korruption und Mißwirtschaft waren damit gegeben; beides war verbreitet.

* Flüchtlinge

Die zunehmenden Probleme zusammen mit den Geschichten über den "Goldenen Westen" führten zu einer dramatischen Zunahme der Flüchtlingszahlen vor dem Mauerbau. Auch danach gab es noch Fluchtversuche. Die Flüchtlinge waren zumeist junge Leute, in die der Staat für Ausbildung u.ä. investiert hatte. Diese gingen dem Wirtschaftssystem verloren.

* Fehlende Identifikation mit dem System
* Keine Eigeninitiative

Selbständiges Denken und Handeln war im Betrieb nicht gefragt. Auch im täglichen Leben über nahm der Staat viele Aufgaben, so daß Eigeninitiative völlig unterging. Damit einhergehend ist der Mangel an Motivation der bei vielen Arbeitenden zu beobachten war. Man hatte sich in einem Zustand der Lethargie eingerichtet.

* Fehlende Zukunftshoffnungen
* Gesundheitsgefährdungen am Arbeitsplatz

Schlechte Arbeitsbedingungen und unzureichende Sicherheitsbestimmungen beim Umgang mit gefährlichen Stoffen sorgten für gesundheitliche Risiken und Unfallgefahren in manchen Arbeitsbereichen. Beispiele: Atom-, Chemieindustrie, Uranbergbau.



Zusammenfassung

Das Scheitern der DDR hatte viele Gründe, und selbstverständlich waren diese nicht rein wirtschaftlicher Natur. Auch politische und soziale Ursachen spielten eine Rolle. Die staatlich gelenkte Wirtschaft war aber ein wichtiger Eckpfeiler des gesamten Systems, so daß deren Scheitern auch den Fortbestand der staatspolitischen Konzeption nachhaltig beeinflussen mußte.

Eine Volkswirtschaft solcher Größe vollständig und wirksam zu planen erscheint nahezu unmöglich. Einen Produktionsplan aufzustellen, in dem die Produktion hunderter Betriebe mit ihren zahllosen Verflechtungen festgelegt ist, kann nicht funktionieren. Sobald die Kette an einer Stelle unterbrochen ist, ist das ganze System lahmgelegt. Auch ist es nicht möglich, die Produktion auf die Präferenzen der Bevölkerung abzustellen. Das wurde mit der Forderung der völligen Unterordnung des Individuums unter das System überspielt, eine ideologische Schulung der Bevölkerung sollte die Menschen den Erfordernissen des Systems anpassen. Dies hatte keinen Erfolg, es weckte nur Unwillen und Widerstand gegen das System, was nur durch drastische Maßnahmen (Sicherheitsapparat, Mauerbau) nicht zu einem vorzeitigen Zusammenbruch der DDR führte.

Mit der Zeit aber, als die Probleme nicht mehr zu kontrollieren waren und auch der "Große Bruder" in Moskau Schwächen zeigte, begann der offene Widerstand der Menschen, der dann schnell und unblutig zum Ende der DDR führte.



Quelle: https://www.wiwi.uni-frankfurt.de/Professoren/ritter/veranstalt/ss97/wipol/projekt/pro31.htm



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Sammy-Jooo
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Re: Warum scheiterte die DDR?

Beitrag von Sammy-Jooo

Also könnte man kurz sagen das die "Deutsche Demokratische Republik" früher oder später in die Insolvenz gegangen wäre.
:-: :-: :teufelgrins: :teufelgrins:

DrZarkov
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Re: Warum scheiterte die DDR?

Beitrag von DrZarkov

Nein, die Außenverschuldung der DDR war minimal und wäre Anfang der 1990er getilgt gewesen. Man hätte noch ewig weiterwursteln können. Allerdings stand die DDR im Wettbewerb mit der BRD, und da sah die DDR verdammt alt aus. Das dumme ist, schon Lenin hatte das Problem erkannt, und Privatwirtschaft in weiten Teilen wieder zugelassen. Nach Lenins frühem Tot hatte Stalin alles wieder rückgängig gemacht. In der DDR gab es die gleiche Entwicklung: Nach Stalins Tod hatte auch Ulbricht eingesehen, dass die reine Planwirtschaft Mist ist und das "NÖP", Neue Ökonomische Prinzip mit teilweiser Privatwirtschaft eingeführt. Dafür wurde er aus Moskau zurück gepfiffen, in Rente geschickt und Honecker wurde eingesetzt. Die UdSSR war unter dem alten Sack Breschnjew auch nicht lern- und reformfähig. In China hatte man es erkannt, da begann ab ca. 1980 die Umgestaltung der Wirtschaft. Mit großem Erfolg, wie man heute sieht. In der UdSSR hatte es Gorbachov versucht, war dabei aber eher planlos vorgegangen, was zum Untergang der UdSSR führte und in den 1990ern zu Chaos, und sogar Hunger. Die DDR hat bis zuletzt festgehalten an der Planwirtschaft (die Betonköpfe an der Spitze konnten und wollten es auch nicht anders, bis zumindest 1986 hätten sie es auch gar nicht gedurft ohne Einverständnis aus Moskau, und das hätten sie nicht bekommen.

Es hätte anders kommen können: Andropow hatte schon 1983 mit der Vorbereitung umfassender Reformen begonnen. Durch seine schwere Krankheit und frühen Tod kam es nicht dazu. Gorbachov musste erst "angelernt" werden, bis er den Reformbedarf erkannte. Wenn die Sowjetunion schon 1983 mit vernünftig durchgeplanten Reformen, wie in China, begonnen hätte, wäre es in der DDR ähnlich gelaufen, und Leute wie Honecker und Günter Mittag wären durch kompetentere Leute abgelöst worden. Sehr wahrscheinlich wäre es nicht zum Zusammenbruch des Ostblocks gekommen, sondern zu einem starken wirtschaftlichen Aufschwung, der noch stärker gewesen wäre als nach der sogenannten Wende, da die Phase der Betriebsschließungen und massenhafter Arbeitslosigkeit vermieden worden wäre.

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Arvika73
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Dez 2021 08 17:17

Re: Warum scheiterte die DDR?

Beitrag von Arvika73

Dass die Außenverschuldung der DDR hätte gelöst werden können, wage ich sehr stark zu bezweifeln. Zu viel hätte in Infrastruktur und Wirtschaft investiert werden müssen, bevor man das System auch nur ansatzweise hätte zum laufen bringen können. Eine Umstellung auf ein »chinesisches System« hätte ein dauerhaftes Festhalten an Unterdrückung und eine weiterhin rücksichtslose Ausbeutung und Verschmutzung der Umwelt zur Folge gehabt. Für beides gab es in der DDR nicht genug Reserven, das Land war einfach zu klein, um großflächige Zerstörungen bisher unberührter Landesteile zuzulassen.

Zudem war die Abhängigkeit der DDR von den anderen Ostblockstaaten und vor allem der UdSSR viel zu groß. Ab der Ölkrise begann die UdSSR, Rohstofflieferungen stark einzuschränken bzw. nur gegen Devisen zu ermöglichen, von denen die DDR (und andere RGW-Staaten) immer zu wenig hatten. Der Ansatz der DDR aus der Übergangszeit Ulbricht/Honecker, Rohstoffe zu veredeln und damit Exportgewinne zu erwirtschaften, klappte mangels Ausgangswaren nicht mehr. Nicht einmal der einheimische Konsum konnte komplett gewährleistet werden, was zu der absurden Verpflichtung von Schwerindustriebetrieben führte, einen gewissen Prozentsatz der Arbeitsleistung für Konsumgüter einzusetzen. Teddys aus der Braunkohle und Klappstühle aus dem Walzwerk waren dementsprechend - da jenseits der Kernkompetenz des Werkes - meist nicht sonderlich hochwertig und die Produktion extrem ineffizient.
Wir hatten zwar Tschernobyl, Punks und Heino -
aber wir hatten die geilste Zeit überhaupt!


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